tagebuch füller schreiben

Wie viel wiegt ein Wort?

Kein Wort kann beschreiben, in welchen Dimensionen wir denken. Kein Gedanke erfassen, was wir im Stande sind zu fühlen. Blicke sind tiefer, Berührungen intensiver. Momente voller Stille können eine Intensität entwickeln, die uns innerlich fliegen lässt. Und dennoch überwinden Worte Barrieren. Sie beeinflussen unsere Gedanken und die Art, wie andere uns wahrnehmen. Obgleich es so schwierig sein kann, in Worte zu fassen, was in uns vorgeht.

Nicht Worte sollen wir lesen, sondern den Menschen, den wir hinter den Worten fühlen.

Samuel Butler

In den letzten Wochen fehlten mir die Worte. Mir fehlten klare Gedanken, Themen und das Bedürfnis, Artikel zu schreiben. Gesundheitsbedingt hängt meine Kreativität noch hinterher, ich male nicht, fotografiere wenig und taste mich nur langsam wieder ran. Aber das Schreiben blieb mir in dieser Zeit.

Die Achterbahn im Kopf

Schreibst du? Ich meine nicht die täglichen Whatsapp-Nachrichten, eMails und Instagram-Posts, mit denen du andere erreichst, sondern das Schreiben nur für dich allein. Setzt du dich an deinen Rechner (ich bin altmodisch – Laptop, Mac und iPad tun’s natürlich auch), öffnest ein leeres Blatt und beginnst zu tippen? Oder nimmst deinen Lieblingsstift zur Hand und schreibst auf Papier? Kennst du das Gefühl, wirre Gedanken in Worte zu fassen? Ihnen eine Struktur, eine Richtung zu verleihen? Wenn das Chaos im Kopf Schritt für Schritt und Wort für Wort einen Sinn findet, als würden die Gedanken durch das Schreiben einen Weg gehen und neues offenbaren. Wenn aus der Belastung Erkenntnis wird …

Meinen Gedanken einen Platz einzuräumen, ist eines der größten Geschenke, die ich mir selbst machen kann. Mir die Zeit zu nehmen, der Unordnung im Kopf zuzuhören und mich damit auseinanderzusetzen. Am liebsten wäre mir natürlich, wenn da keine Unordnung wäre. Wenn ich die lästigen und unnützen Gedanken einfach abstellen könnte. Aber so funktioniert es nun mal nicht. Dass wir denken, ist ein Teil von uns. Dass wir uns in Tagträumen verlieren, bis in die Nacht grübeln und während einer Meditation nur schwer zur Ruhe finden – alles normal. Aber deswegen nicht leichter zu handhaben.

Vom Gewicht eines Wortes

Wenn mich Gefühle oder Gedanken überfordern, geht der erste Griff an mein Tagebuch, ganz klassisch. Ich schlage eine leere Seite auf, nehme meinen Füller zur Hand und schreibe drauf los. Wortfetzen, halbe Sätze, Liedzeilen, Vorwürfe, Wut, Trauer. Und mit jedem Wort, mit jedem wahren Wort wird die Last in meinem Kopf leichter. Die Gedanken werden leiser, als verließen sie meinen Verstand raus aufs Papier, wo sie sein und stänkern dürfen. Wo sie einen Platz finden und ein Gewicht haben, in Papier geprägte Tinte. In. Papier. Geprägte. Tinte. Nicht mehr und nicht weniger. Milligramm, obwohl in Kopf und Herz doch tonnenschwer. Es scheint banal, nichtssagend, ein paar dunkelblaue Linien auf Papier. Aber diese kleine Geste schafft es, mir in einem schweren Moment die Last abzunehmen. Oftmals Dinge, die ich nicht laut aussprechen kann oder mag. Die nirgendwo einen Platz finden, keinen Zuhörer. Nur das Papier und die Tinte. Und in dem Moment, wo sie ihren Weg gehen, atmet etwas in mir auf. Ein kleines leises „Danke, dass du zuhörst“.

Ich breche eine Lanze für das Schreiben. Nicht für die Geschichten, die wir erfinden, sondern für die Wahrheit in uns selbst. Dafür, sie aufzuschreiben und anzunehmen. Nicht wegzusehen oder unsere Gedanken als unwichtig abzutun. Unser Gehirn beschäftigt sich tagtäglich mit diesen Dingen, lassen wir sie los, indem wir ihnen einen Moment der Aufmerksamkeit schenken. Indem wir ihnen eine Gewichtung zustehen. Und wenn du jetzt überlegst, wie du anfangen kannst, lege ich dir Pauls Blog „Schreiben wirkt“ ans Herz.

Pass auf dich auf!