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Auf der Suche nach Balance

Es gibt immer wieder Zeiten, in denen ich über Tage hinweg ein Ungleichgewicht in mir spüre. Unruhe und Angespanntheit auf der einen, Erschöpfung auf der anderen Seite. So deutlich, dass es mich beinahe in die Knie zwingt. Dass ich mich „Ich kann nicht mehr“ flüstern höre. Als wäre da zu viel Unverarbeitetes in meinem Kopf, zu viel, das Gehör verlangt und gleichzeitig nicht weiß, was es sagen will. Chaos im Körper, unterschwellig, nicht unbedingt laut, aber irgendwie schwer und dauerhaft. Fehlende Balance.

Was wir unseren Sinnen antun

Konsum

Ich habe diesen riesigen Informationsspeicher in mir, der sich Gehirn nennt und der mit der geballten Ladung Wissen (was ich an dieser Stelle nicht mit Weisheit gleichsetzen möchte) gerne mal überfordert ist. Einfach voll. Ich merke mir Dinge, die für mich nicht wichtig sind. Schnappe Informationen auf und speichere sie unkontrolliert ab, obwohl ich sie nicht brauche. Nicht nur Gesagtes und Gehörtes, auch Bilder, Orte, Gesichter. Gebäude, Farben, Formen. Natur und Verkehr, Situationen. Inspirationen. Geschwindigkeit und Stillstand. Oftmals Dinge, die ich nur nebenbei aufnehme und die sich trotzdem dauerhaft einen Platz in mir suchen. Manch einer wäre vielleicht froh darüber, sich vieles leicht merken zu können. Ich nicht.

Zu diesen Sinneseindrücken kommen die Infos hinzu, die mir wichtig sind. Die ich behalten möchte und die ebenfalls Raum in meinem Kopf brauchen. Und dann kommen noch all die anderen Dinge hinzu, die mir täglich durchs Gehirn rauschen. Daten, Zahlen – hauptsächlich auf Arbeit – Informationen, die verarbeitet, umgewandelt und in eine Lösung gebracht werden wollen. Die flattern permanent hinter meiner Stirn herum und quetschen sich durch die gewollt und ungewollt gespeicherten Informationen.

Überladen

Alles, was wir aufnehmen, hat ein Gewicht und belastet unsere innere Balance. Ich kann nicht sagen, wie schwer ein Gedanke oder ein Gefühl ist, aber es wiegt in mir. Es wiegt in Kopf oder Herz. Oder beidem. Und irgendwann schaltet alles ab. Dann ist es mir zu viel. Dann bin ich müde und erschöpft und will nicht mehr. Und dann merke ich – ich muss das regulieren. Soweit ich es eben kann. Ich will das alles nicht aufnehmen und abspeichern. Aber kann ich festlegen, was ich mir merke und was nicht? Kann ich zu viel Informationen löschen? Nein. Also werde ich den Informationsfluss reduzieren.

Vereinfachen

Reduzieren. Minimalisieren. Entwirren. Aufs Wesentliche herunterbrechen. Vereinfachen – allein das Wort entspannt mich. Es schafft einfarbige Ton-in-Ton-Flächen, wo vorher alles voll mit Mustern war. Es leert meine Schränke von Ballast und Klamotten, die ich nie trage. Versimpelt mit Informationen vollgestopfte Gespräche aufs schlichte Zuhören. Es reduziert komplexe Musik auf ein leises weißes Rauschen. Es ist mehr als Stille. Mehr als eine weiße Wand. Mehr als Leere. Es ist ein weiches Fließen, das mir nichts von dem nimmt, was ich wirklich brauche, ohne mich mit einem Zuviel zu überfordern.

Den Input regulieren

Auf Arbeit kommt es nicht so gut, wenn ich zu meinem Chef sage – red du mal mit dem Kunden, ich will das jetzt nicht hören. Nein. Ich mache meine Arbeit gerne und mein Kopf mag die Herausforderungen dabei.

Ich werde also den privaten Input eindämpfen: Kein Facebook, kein Instagram, kein sinnloses Herumsurfen im Internet, kein Fernsehen, keine Zeitschriften, keine Bücher, nicht mal Musik. Uff. Keine Musik? Ist das wirklich nötig? Ich probiere es seit ein paar Tagen aus und wo ich früher oft dachte – ohne Musik geht gar nicht – merke ich mittlerweile, dass es geht. Aber es ist anders. Musik versetzt mich mühelos in eine bestimmte Laune und übertüncht damit meine natürliche Grundstimmung. Was nicht schlecht sein muss, meist richte ich die Musik auf meine Grundstimmung aus. Sofern ich denn merke, wie es mir geht. Also ganz genau. Tief drinnen. Wo man manchmal schlecht ran kommt, weil so viel Informationen dazwischen wuseln. Und wenn ich mal nicht merke, wie es mir gerade geht, dann lenkt mich die Musik von dem ab, was gerade in mir vorgeht. Überlagert meinen inneren Klang mit äußeren Worten und Melodien.

Ohne die Musik wird eben nichts übertüncht. In den letzten Tagen war es still um mich herum. Und dann kam des Öfteren eine Stimmung in mir hoch, traute sich raus ans Licht und brachte einen alten Ohrwurm mit. Irgendwie schön. Als würde mein Kopf selbst entscheiden, welches Lied gerade passt.

Und mit all der Zeit, die ich durch den Verzicht auf Konsum spare, fange ich das genaue Gegenteil an. Ich fülle die andere Seite der Waage solange, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist.

Die Balance aus Input und Output

Was ich hier jetzt gerade mache – schreiben – ist für mich Output. Ich formuliere meine Gedanken und gebe ihnen Raum. Ich lasse etwas nach draußen. Grübeln ist wie Schaukeln, du bewegst dich, kommst aber nicht vom Fleck. Schreiben hingegen ist eine Vorwärtsbewegung.
Also reduziere ich den Input, soweit wie möglich, und widme mich dem Rauslassen: Mehr schreiben, mehr malen, mehr machen, kreieren. Texte, Bilder, Dinge erschaffen, die mein Inneres ausdrücken. Die etwas von mir herausbringen.

Und mir auch mal Zeit lassen, der Stille zuzuhören. Dem Rauschen der Heizung. Dem Schalten meines Motors beim Beschleunigen. Den Vögeln auf unserem Balkon beim Abendbrot (falls mein Kleiner gerade mit Kauen beschäftigt ist).

Eine Woche ohne Input

Also fast, bleiben wir realistisch — es gab ein paar Mails, ein paar Nachrichten von Lesern über Facebook, die ich nicht unbeantwortet lassen wollte. Und ganz ohne Whatsapp geht es nicht, wenn man noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen möchte.

Was ist anders in mir? Ich bin öfter ruhig und ohne Gedankenautobahn. Meine Meditationen wirken manchmal offener, als wäre mehr Raum um mich herum. Kann Zufall sein. Das Schreiben tut mir gut. Ich bin meinem Inneren etwas näher und fühle mich geerdeter.

Es geht ohne diesen ganzen Krempel, den wir oft für wichtig halten. Weniger Input vereinfacht die Gedankenwelt, verlangsamt meine Freizeit, verlangsamt meine wahrgenommene Zeit. Es ist leise um mich herum – klar, ohne Musik und Youtube. Ich freunde mich mit der bewusst gewählten Stille an. Je öfter ich sie zu mir lasse, desto angenehmer wird sie.

Und dann frage ich mich: brauche ich den Input überhaupt? Muss ich meinen Kopf mit Informationen über Yoga, Buddha und Meditationen füttern? Muss ich die neusten Erkenntnisse für Nachhaltigkeit wissen, um die Welt zu retten? Um einen friedvollen Weg gehen zu können? Sind die dafür notwendige Liebe und Ruhe nicht längst in mir? Ist es nicht der natürliche Zustand des Geistes, Frieden zu empfinden? Ohne alles, bleibt nur noch Glück?

Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Am Ende geht es um Balance. Ums Pendeln, Schwingen. Ganz leicht, mit wenig Informationen. Einfach fließen lassen, was in uns vorgeht.

Und alles ist gut.